5 Uhr 30. Der Wind peitscht gegen das Zelt. Es ist dunkel und kalt. Unser Horseman Pancho klopft auf das Dach unseres Zelts: „Amigoooos!“. Uff, unter keinen Umstände sehe ich mich in Stande aufzustehen. Ein erholsamer Schlaf sieht anders aus, denn das Schlafen auf einer guten, aber dennoch recht dünnen Isomatte ist so eine Sache.
Manchen soll es nichts ausmachen. Wir gehören definitiv nicht zu den glücklichen. Jeder Knochen tut uns weh, wir haben Kopfschmerzen und leichten Schüttelfrost. Aber zumindest nicht so schlimm, wie in der ersten Nacht unserer ersten Wanderung: dem Salkantay Trek. Das ist wohl der Preis, den man zahlen muss, um den berühmten Rainbow Mountain von Peru abseits der Touristen Massen zu sehen.
Neben DEM Regenborgen Berg Vinicunca, gibt es in der Nähe noch weitere, ähnliche bunte Berge, die viel weniger bekannt sind. Diese heißen Palccoyo und befinden sich ganz in der Nähe.
Wer es nicht in die Region von Cusco und vor allem in diese Höhe fahren möchte, aber dennoch dieses Naturwunder bestaunen will, kann die Regenbogen Berge im chinesischen Danxia-Gebirge bei Zhangye bestaunen. Diese sind zwar mit den peruanischen nicht vergleichbar, aber mindestens genauso schön.
Für den zweiten Tag unserer Wanderung sind weitere 11 Kilometer in ca. 6 bis 7 Stunden vorgesehen. Das ist zwar an sich human, aber wir wandern in fast 5000 Metern Höhe. Zu diesem Zeitpunkt erscheint es fast unvorstellbar und eine nicht zu meisternde Herausforderung. Zum Trödeln ist allerdings keine Zeit: um 6 Uhr ist Frühstück und kurz danach müssen wir schon aufbrechen. Die Pferde warten bereits auf unsere Rucksäcke.
Nur mühsam stehen wir auf und packen unsere Sachen zusammen. Zum Waschen gibt es nur eine kleine Schüssel mit, immerhin, lauwarmen Wasser. Wir wissen, dass dies unter diesen Umständen absoluter Luxus ist und sind für jedes kleine bisschen Komfort sehr dankbar. Die Schlafsäcke und die Isomatten sind im Preis der Wanderung nicht inkludiert. Da wir keine eigenen dabeihatten, haben wir diese dazu gebucht. Die Ausstattung der Agentur ist sehr gut; trotzdem konnten kaum schlafen. Der Zeltplatz hat ein leichtes Gefälle, was dazu führt, dass man nachts ständig von der Isomatte runterrutscht. Schlechter Schlaf gehört zu diesem Abenteuer dazu.
Die Höhe spürt man auf der Wanderung permanent. Tagsüber ist es noch halbwegs erträglich. Nachts ist es wesentlich schlimmer. Die Höhenkrankheit ermöglichte kaum eine erholsame Stunde. Kopfschmerzen, Schüttelfrost, flaues Gefühl im Magen, erschwerte Atmung, Schlaflosigkeit… Und das sind noch die leichten Symptome, die angeblich noch relativ harmlos sein sollen. Wir sind auf 4500 Meter Höhe. Auch wenn die Schlafsäcke auf die Temperaturen bis zu -20 Grad ausgelegt sind und man alles angezogen hat, was gerade noch in den Schlafsack passt, friert man auch aufgrund der Höhe gnadenlos. Zumindest werden wir mit einer heißen Tasse Coca Tee und einem zweiten, fröhlichen Weckruf: „Buenos Dias, Amigos!“ zum Frühstück eingeladen.
Eine halbe Stunde später sind alle Zelte zusammengepackt, die Pferde beladen und schon geht es für uns auf dem Pfad wieder weiter. Im frühen Morgengrauen brechen wir auf. Gleich hundert Meter von Zeltplatz entfernt verschlägt es uns den Atem. Diesmal nicht aufgrund der Höhe. Der Blick ins Tal, wenn die ersten Sonnenstrahlen durch die dichte Nebeldecke durchkommen und die Gipfel in einem warmen Gold-Gelb erstrahlen, bewegt zum Inne halten. Die Landschaften dieser Gegend wirken absolut surreal.
Der Weg führt uns durch weite Täler, die meistens von Bergen unnatürlich bunter Farben umgeben sind. Hier und da fließt ein dünner Bach. Saftig grüne Weiden mit zahlreichen Alpaka- und Lama-Herden begleiten uns auch an diesem Tag.
Die Häuser der Einheimischen werden immer seltener. Die Konstrukte, in denen die Einheimischen wohnen sehen aus wie graue Lehmhügel und würden von einem Europäer vermutlich nie als „ein Haus“ bezeichnet werden. Sie werden aus Adobe errichtet: ungebrannten Lehmziegel aus einer Mischung von Erde, Stroh und Alpakakot. Wir sind unterwegs in Páramo, was auf altspanisch so viel wie schlechtes, baumfreies Land bedeuten soll. Völlig verblüfft sind wir über kleine Solarpanels, die hier und da zwischen den Hütten stehen. Ein wenig Moderne hat auch hier Einzug gehalten.
Auf über 4500 Metern über dem Meeresspiegel wachsen nur bestimmte Hochlandgrässer, sodass die Haltung der Weidetiere wie Lama und Alpaka möglich ist. Das Überleben gehört für die lokale Bevölkerung jedoch zur Tagesordnung. Beschäftigungsmöglichkeiten sind abgesehen von der Tierhaltung und Handwerk wie Erstellung von Kleidungsstücken und Souvenirs, sowie dem Verkauf der Wolle praktisch nicht existent.
Man lebt mit und von den Tieren. Da auf dieser Höhe keine Bäume gibt, wird zum Zwecke des Heizens Tierkot verbrannt. Nur Einzelne besitzen Pferde als Transportmittel oder haben die Möglichkeit wie unsere Horsemen vom Tourismus zu profitieren. Schulen und Krankenhäuser sind teilweise mehrere hunderte Kilometer entfernt. Und trotzdem sind die Menschen hier glücklich, erzählt uns Carlos. Sie haben eine tiefe Verbindung zu ihren Tieren und der Natur.
Gegen Mittag, nachdem wir den Arapa Pass mit 4800 Meter überwunden haben, gibt es einen kleinen Snack. Nach einer Pause von einer halben Stunde geht es weiter in ein unvergessliches Tal der goldenen Berge. Die Landschaft ist so unvorstellbar ungewöhnlich, dass man anfängt darüber zu grübeln, ob man noch wirklich auf dem Planet Erde ist.
Nach der weiteren kurzen Etappe kommen wir am Yana Qocha See an und machen eine kurze Pause um die Aussicht zu genießen. Nach einer kleinen Erkundungstour auf den ein oder anderen Hügel werden wir wenig später von einer Gruppe Wanderer eingeholt. Ein kurzer Halt für ein schnelles Gruppenfoto und schon brechen sie wieder auf; sie scheinen es eilig zu haben. Es sieht fast danach aus, als würde das Wandern an sich der primäre Sinn und Zweck des Aufenthalts sein und nicht die außergewöhnliche Landschaft.
Denn von der atemberaubenden Natur scheint keiner besonders beeindruckt zu sein: nicht einer schaut sich länger um oder macht Anzeichen, an diesem Platz länger verweilen zu wollen. Alle stiefeln in einer Reihe den Weg entlang, konzentriert darauf, zusammen zu bleiben und zügig weiterzukommen. Wir sind nur froh, den Ort für uns allein genießen zu können und vor allem die Zeit und die Neugier zu haben, um dies zu tun.
Unsere Camping Stelle für die Nacht sollte beim wunderbaren Puca Qocha See sein. Da wir aber an dem Tag sehr langsam unterwegs waren und mehrfach Pause gemacht haben, schaffen wir die Camp Site nicht rechtzeitig vor der Dunkelheit zu erreichen. Das ist zum Glück kein Problem, da wir nur zu zweit sind und das Team flexibel. So werden die Zelte einfach ein paar hundert Meter und wenige Hügel früher aufgeschlagen. Das ist der Vorteil einer kleinen Gruppe bzw. einer Privattour. Für uns von unschätzbarem Wert.
Unser Guide ist perfekt ausgerüstet und kann per Funk mit den Horsemen und dem Koch Santos kommunizieren, die uns stets vorweg laufen. Das Tempo, in dem sie die Kilometer auf dieser Höhe bewältigen können, ist erstaunlich. Wenn wir morgens den Zeltplatz verlassen, packen sie noch alles zusammen. Wenn wir abends den Schlafplatz erreichen ist schon alles eingerichtet und das Abendessen nahezu fertig. Wann sie uns während der Wanderung überholen, kriegen wir gar nicht mit.
Leider geht langsam die Sonne unter und es wird zunehmend kälter. Da um 17 Uhr das obligatorische Tea Time stattfindet, brechen wir auf. Vorbei an unzähligen Alpakas und dem ein oder anderen wunderschönen See, stiefeln wir müde aber zufrieden weiter. Zum Glück ist es nicht mehr weit zum Camp und wir freuen uns wieder auf die Gelegenheit bei einer Tasse heißen Kakao Carlos über das antike und moderne Peru auszufragen…
Fortsetzung folgt